Veranstaltung: | Offener Brief zu GEAS |
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Antragsteller*in: | Birgit Vasiliades (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf) |
Status: | Unterstützer*innen sammeln (Berechtigung: Eingeloggte) |
Angelegt: | 20.12.2023, 19:58 |
A1: Humanität und Menschenrechte - Asylrecht schützen!
Antragstext
Liebe Annalena, lieber Robert, liebe Lisa,
liebe Ricarda, lieber Omid,
liebe Britta, liebe Katharina,
lieber Bundesvorstand und liebe Bundestagsfraktion,
bereits jetzt zeichnet sich ab, dass wir den heutigen Tag als “historisch”
erinnern werden. Ein historischer Moment der Absage an universell geltende
Menschenrechte. Diese Absage bedeutet die Entrechtung von in Europa
schutzsuchenden Menschen. Eine Entrechtung, die keinesfalls die “Ordnung” und
“Entlastung” bringt, die in zahlreichen Statements suggeriert werden. Eine
Entrechtung, die zeigt, dass die Europäische Union aus den dramatischen Bildern
aus Moria, dem Massensterben auf dem Mittelmeer und unmenschlichen Praktiken in
Ländern wie Libyen nichts gelernt hat – oder nichts lernen will.
Als Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen haben wir eine rechtsstaatliche,
menschenrechtsorientierte Flüchtlings- und Asylpolitik immer in den Mittelpunkt
gestellt – aus unserer historischen Verantwortung heraus. Als Bündnis 90/Die
Grünen haben wir uns auch auf der vergangenen Bundesdelegiertenkonferenz (BDK)
im Europawahlprogramm klar gegen die Entrechtung von Geflüchteten ausgesprochen:
„Wir setzen uns dagegen ein, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)
zu einem Programm zum Abbau von Flüchtlingsrechten wird.“ Stattdessen „treten
[wir] für einen rechtsstaatlichen und menschlichen Umgang mit Schutzsuchenden in
Europa ein.” In Karlsruhe gab es auch das klare Signal aus der Mitte unserer
Partei, dass der aktuelle Kurs der Bundesregierung nicht mit den Positionen und
Beschlüssen von Bündnis 90/Die Grünen vereinbar ist.
Zwischen der heutigen Einigung im GEAS-Trilog und unserer Parteipositionierung
auf der BDK liegen erst wenige Wochen. Unsere Glaubwürdigkeit als Partei steht
seit heute endgültig am Scheideweg.
“Bauchschmerzen” und “schmerzhafte Kompromisse” gehören zur Politik dazu. In
euren heutigen Statements stellt ihr richtigerweise Punkte heraus, für die wir
als Partei immer gekämpft haben, die mit dieser Reform aber nicht erfüllt
werden. Wir wissen um die schwierige Lage in einem europäischen Diskurs, in dem
es aktuell keine Mehrheiten für eine progressive Migrations- und Asylpolitik
gibt. Aber: Drastische Zugeständnisse führen nicht zu einem Ende des
Verschärfungsdiskurses, sondern sind der Rückenwind für jene, die den
Flüchtlingsschutz in Europa gänzlich abschaffen wollen.
Wir als Partei haben eine Regierungsbeteiligung immer als Mittel verstanden, es
anders zu machen und nicht aus einem reinen “Sachzwang” heraus zu agieren,
sondern inhaltlich und wertebasiert. Wenn wir für unsere schmerzhaften
Zugeständnisse nichts bekommen und daraus keine Konsequenzen im
Abstimmungsverhalten folgen, verlieren wir – zu Recht – das Vertrauen unserer
Bündnispartner*innen. Ein Vertrauen, das nicht erst jetzt bröckelt, sondern das
durch die letzten Monaten bereits massiv geschwächt worden ist. Vertrauen von
denen, die mit uns Seite an Seite dafür gekämpft haben, dass es in diesem Land
immer eine laute Stimme gegen die populistischen, hetzerischen Verschärfungs-
Diskurse gab. Sie fühlen sich – auch das zu Recht – im Stich gelassen.
Auf der Bundesdelegiertenkonferenz hat die Mehrheit der Partei euch einen
Handlungsspielraum gegeben, auf europäischer Ebene weiterzuverhandeln. Jedoch
nicht ohne eine klare Richtschnur, wo wir stehen. In vielen parteiinternen
Verhandlungsrunden wurden unsere Ansprüche an ein europäisches Asylsystem
formuliert, das sowohl Rechtsstaatlichkeit, als auch Humanität stärkt.
Das Ergebnis, das uns heute Morgen erreicht hat, bewegt sich jedoch weit
außerhalb dieses Handlungsspielraums. Auch wenn gegenwärtig noch nicht alle
Details bekannt sind, gibt es zentrale Punkte, die das individuelle Asylrecht
und Grundrechte massiv einschränken. Das betrifft die (de-facto-) Inhaftierung
an den Außengrenzen und weitere Punkte der Asylverfahrensverordnung, die
Screening-Verordnung, die Krisen-Verordnung sowie die Asyl- und
Migrationsmanagement-Verordnung.
Ein europäisches Asylsystem, das folgende Widersprüche zu unserer Beschlusslage
(Europawahlprogramm) aufweist, darf keinesfalls die Zustimmung Grüner
Regierungsmitglieder erfahren:
Grüne Beschlusslage Screening-Verordnung und EURODAC:
„Wir setzen uns gegen das sogenannte Screening innerhalb des Hoheitsgebiets ein.
Eine Registrierung von Minderjährigen darf nicht zur Verletzung der Kinderrechte
führen.“
„Wir setzen uns dafür ein, dass illegale Pushbacks rechtlich und politisch
konsequent geahndet und sanktioniert werden. Wir wollen außerdem die EU
Grundrechteagentur stärken sowie das staatliche und zivilgesellschaftliche
Menschenrechtsmonitoring weiter ausbauen. Dabei soll ein unabhängiges Monitoring
mit Ermittlungsbefugnissen an den Außengrenzen ermöglicht werden.”
Ergebnis Trilogverhandlungen:
- Verpflichtendes Screening innerhalb des Hoheitsgebiets, das unter
haftähnlichen Bedingungen innerhalb von sieben Tagen durchgeführt wird.
Ein Rechtsbehelf gegen das Screening oder das Screening-Ergebnis ist nicht
vorgesehen.
- Das Menschenrechts-Monitoring darf nicht an den gesamten Außengrenzen
stattfinden und ist damit kein wirksames Instrument, um Push-Backs zu
beenden.
Grüne Beschlusslage Asylverfahrensverordnung (AVVO/APR)
“Das Recht auf Einzelfallprüfung und das Nichtzurückweisungsgebot gelten dabei
immer und überall. Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder
bereits hier sind, muss in Europa inhaltlich geprüft werden. Grenzverfahren
dürfen nicht dazu führen, dass weitere große Haftlager wie Moria an den
Außengrenzen entstehen, die die Würde und die Rechte von Schutzsuchenden
verletzen.”
“Kinder müssen kindergerecht untergebracht und versorgt werden, dies gilt in
Deutschland ebenso wie an den Europäischen Außengrenzen für alle Kinder. Die UN-
Kinderrechtskonvention gilt uneingeschränkt auch für geflüchtete Kinder, egal,
wo sie sich befinden. Menschen dürfen nicht einfach inhaftiert werden, nur weil
sie Asyl beantragen. Familien mit Kindern sollten grundsätzlich nicht in
Grenzverfahren kommen dürfen und Mitgliedstaaten nicht zur Durchführung von
Grenzverfahren verpflichtet werden.”
“Wir kämpfen für eine EU, die den Zugang zum Menschenrecht auf Asyl garantiert
sowie die humanitären und völkerrechtlichen Verpflichtungen, wie die UN-
Flüchtlingskonvention, einhält.”
Ergebnis Trilogverhandlungen:
- Es gibt keine generelle Ausnahme von Kindern oder vulnerablen Gruppen.
- Verpflichtende Grenzverfahren von Personen aus Ländern mit <20%
Anerkennungsquote.
- In den Grenzverfahren können keine rechtlich gesicherten, humanitären
Mindeststandards sichergestellt werden.
- Auch Familien, Kinder und Personen aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan
können in Grenzverfahren genommen werden.
- Klagen gegen Rückführungen haben keine aufschiebende Wirkung.
- Die Genfer Flüchtlingskonvention ist nicht mehr zwangsläufig Grundlage für
die Einstufung von sicheren Drittstaaten, durch die massive Ausweitung der
Sicheren Staatenkonzepte. Auch Teilgebiete von Staaten können als sicher
eingestuft werden.
Grüne Beschlusslage Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung (AMMVO)
„Unser Ziel ist ein verbindlicher Verteilmechanismus von Schutzsuchenden. Auf
dem Weg dorthin soll ein dauerhafter, verlässlicher und verbindlicher
Solidaritätsmechanismus die Verteilung maßgeblich verbessern.“
„Um die gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen, müssen sich alle
Mitgliedstaaten einbringen – ob durch die Aufnahme von Schutzsuchenden oder
durch finanzielle Unterstützung für die Aufnahme von Geflüchteten. Geld- und
Sachleistungen an Drittstaaten sind dabei keine Kompensation.”
„Das Dublin-System ist ungerecht und wird den aktuellen Herausforderungen nicht
gerecht.”
"Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums."
Ergebnis Trilogverhandlungen:
- Statt einer verbindlichen Verteilung gibt es einen verbindlichen
Solidaritätsmechanismus, bei dem auch Zahlungen für den Grenzschutz und an
Drittstaaten möglich sind.
- Die Fristen für das Dublin-System werden massiv ausgeweitet, statt
reformiert. Die neuen Vorgaben schränken Menschen- und Grundrechte ein.
- Ausschluss von Sozialleistungen für Menschen, die in einen anderen
Mitgliedsstaat weiterziehen.
Grüne Beschlusslage Krisenverordnung
„Der Entrechtung von Menschen, die durch autoritäre Staaten instrumentalisiert
werden, stellen wir uns entgegen.”
Ergebnis Trilogverhandlungen:
- Das Konzept der Instrumentalisierung von Schutzsuchenden ist Teil der
Krisenverordnung.
- Ermöglicht Ausnahmen von GEAS in Krisensituationen. Die Definition einer
Krise ist nicht eindeutig. Bei Aktivierung ist es möglich, dass ALLE
Menschen zwangsläufig in Grenzverfahren müssen.
- Die Zustimmung des Parlaments wird nicht benötigt, damit wird dem
Missbrauch der Krisenverordnung nicht vorgebeugt.
Es ist absolut unverständlich, dass die Bundesregierung und damit die grünen
Regierungsmitglieder einer Europäischen Asylreform zustimmen, die solch
eklatante Einschränkungen einer wichtigen Lehre aus dem Nationalsozialismus zur
Folge hat: dem individuellen Recht auf Asyl. Mit dieser Entscheidung stellt ihr
euch klar gegen die Positionierung der Grünen Fraktion im Europaparlament.
Als Partei haben wir auch beschlossen, dass wir “unsere jeweiligen
Positionierungen zu den Rechtsakten davon abhängig machen, ob unter dem Strich
Verbesserungen in der Europäischen Asylpolitik und auch für Europa stehen.”
Deshalb fragen wir euch konkret: Was rechtfertigt eure Zustimmung entgegen
jeglicher Parteibeschlüsse?